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Ganz gleich auf welche Weise man einen Vogel abträgt, mit oder ohne Haube, durch intensiven Kontakt oder fast keinen (wie wir es halten), ganz gleich ob es ein Habicht oder Falke ist, eines sollte man sich bei all seinen Bemühungen stets vor Augen halten: Das Abtragen ist nur Mittel zum Zweck; Mittel zum Zweck auf dem Weg zum ersten Beizerfolg, zum erfolgreichen Beizjagen. Diesen fundamentalen Zusammenhang zu verstehen, ist von allergrößter Bedeutung. Alle Handlungen und Hilfsmittel beim Abtragen sind so auszuführen und anzuwenden, daß sie einen Vogel auf schnellstmöglichem Weg zum Fliegen und Jagen bringen. Die Jagd ist das Ziel, und dazu muß der Vogel weder auf dem samstäglichen Markt im Nachbarort spazierengetragen werden, noch ein Habicht 200 Meter spontan an der Lockschnur beireiten oder ein Falke 500 Meter am Drachen emporsteigen. Je schneller ein Vogel an Wild kommt, desto besser. Diese Regel ist Gesetz. Das heißt natürlich nicht, daß man keine Sorgfalt obwalten lassen sollte; zuviel Aufhebens um Unwesentliches zu machen, ist jedoch ebenso kontraproduktiv. | |
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Das Abtragen als Mittel zum Zweck: Harris auf Hase (Foto H.-K. Hussong) und Wanderfalke auf Grouse (Foto K. Leix). |
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Die ersten Tage des Abtragens: Das Gewöhnen
Zur Wiederholung: Bevor der abzutragende Greifvogel beim Züchter abgeholt oder aus der eigenen Zuchtkammer herausgefangen wird, sollten alle Vorbereitungen am äußeren Umfeld der bevorstehenden Beizsaison abgeschlossen sein. Es ist darüber hinaus sicherzustellen, daß man die richtige Atzung in ausreichender Menge zur Verfügung hat und neue Geschühriemen geschnitten, Bells, Handschuh, Sender etc. im Haus sind. Auch sollten die Räumlichkeiten für die Unterbringung des rohen Vogels in den ersten Tagen vorbereitet und keine sonstigen Störungen in den nächsten 14 Tagen zu erwarten sein, will sagen keine Maler ins Haus kommen (idealerweise auch nicht das Dach des Nachbarhauses gedeckt werden). Der Rasen im Garten sollte gemäht sein, so daß keine Maht in den nächsten zwei Wochen nötig sein wird. Wenn möglich, sprechen Sie auch mit den Nachbarn und bitten um Verständnis, in der nächsten Zeit keinen Fußball im Garten zu spielen und dem Vogel auch keine Fleischwurststücke zuzuwerfen (nicht, daß sie der Vogel aufnehmen würde, es könnte vielmehr die Katze eines anderen Nachbarn oder schlimmer einen Marder animieren, über den Gartenzaun zu springen, um die Fleischbrocken aufzusammeln). Das alles mag lächerlich klingen, ist tatsächlich aber von eminenter Wichtigkeit. In den anstehenden zwei ersten Wochen des Abtragens gilt es alle erdenklichen Störungen (sog. Stressoren) vom Vogel fernzuhalten, auch solche, die er nicht unmittelbar mit Ihnen, dem Falkner, in Verbindung bringen könnte. Nur so kann man das Verhalten des Vogels richtig interpretieren und seine Entwicklung korrekt einschätzen. Ein Beispiel: Sie hatten den Vogel gestern soweit, daß Sie ihn, ohne daß er absprang, vom Sprenkel aufnehmen konnten. Beim heutigen Herantreten jedoch springt er wild ab und scheint sich auch nicht mehr beruhigen zu wollen. Wie sollen Sie die richtigen Schlußfolgerungen ziehen und richtig reagieren, wenn Sie nicht wissen, daß Ihr Nachbar den ganzen Vormittag lang den großen Apfelbaum in seinem Garten von einer Gartenfirma hat schneiden lassen und ihr Vogel nun derart gestreßt ist, daß er übernervös reagiert? Sie können es nicht! Entsprechend gilt es solche Vorkommnisse zu vermeiden. Wichtig ist auch, daß Sie in den nächsten Wochen nicht zu einer zweitägigen Dienstreise aufbrechen müssen! Wir gehen nicht soweit zu empfehlen, daß man sich für die ersten zwei bis drei Wochen des Abtragens Urlaub nimmt, gerade den Anfänger könnte dies verleiten, sich zu viel um seinen neuen Vogel zu kümmern, eines jedoch steht fest: die kommenden zwei Wochen entscheiden maßgeblich über die Qualität des Beizvogels in den (hoffentlich) nächsten 10 oder mehr Jahren. Dieser Umstand sollte einige Anstrengungen wert sein. Der positiven, störungsfreien Entwicklung des Jungvogels in dieser wichtigen Zeit ist größte Aufmerksamkeit zu widmen. Wir gehen soweit zu sagen: es ist ihr alles andere unterzuordnen.
Sind alle notwendigen Vorbereitungen getroffen, kann der Vogel abgeholt und mit dem Abtragen begonnen werden. Es ist davon auszugehen, daß ein Habicht - anders als ein Falke, der verhaubt sehr pflegeleicht im Auto bewegt werden kann - in einer geschlossenen Kiste zu seinem neuen Zuhause transportiert wird. Hierbei ist zu beachten, daß es sich dabei nicht um die Transportkiste handelt, mit der man den Vogel später ins Revier transportieren möchte. Dies nicht etwa, damit der Vogel keine schlechte Assoziation mit eben dieser herstellt, sondern weil die eigentliche Transportkiste eine Sitzstange enthalten wird. Unabgetragene oder wild gefangene Greifvögel aber sind grundsätzlich in einer Kiste ohne Stangen, sprich einer blanken Box zu transportieren; andernfalls ist das Verletzungsrisiko zu groß, und auch könnte die ein oder andere Feder verbinzen (Gesagtes über die Transportkiste gilt natürlich nicht, wenn man eine Kiste mit herausnehmbarer Stange hat).
Idealerweise holt man den Vogel gegen Abend beim Züchter ab. Zuhause eingetroffen, verbringt man die Kiste in einen völlig abgedunkelten Raum. Hier öffnet man sie vorsichtig und wickelt den Vogel im Schein einer Stirnlampe in ein Handtuch ein. Die nun folgende, für den Vogel streßbringende Prozedur, nämlich das Anlegen neuer Aylmeri-Manschetten, von zwei Bells und der Messingmanschette für die Sendermontage - falls man den Sender später am Stoß befestigen möchte - ist unumgänglich. Wenn sie gleichfalls nicht zu unserer eigenen Routine gehört, dann deshalb, weil wir die Manschetten bereits dem 4 Wochen alten Nestling im Kunsthorst anlegen, wobei keine Zwangsmaßnahmen nötig sind.
Ungeachtet dessen: Das Aufschirren hat noch keinen Vogel verdorben. Ist alles gut vorbereitet, und liegen Manschetten, Ösen, Ösenzange, Adreßtafel, Drahle, Geschühriemen sowie Kurz- und Langfessel auf einem Tisch bereit, wird die Prozedur kaum länger als zwei bis drei Minuten dauern, zumal wenn man einen versierten Helfer an seiner Seite hat, der einem den Vogel unter dem Handtuch hält. Es sollte absolutes Schweigen herrschen, und auch sollte der Vogel keinen der Beteiligten zu Gesicht bekommen. Wenn alles erledigt ist, wird der Vogel, noch ins Handtuch eingewickelt, auf die Waage gelegt und aufs Gramm genau gewogen. Je nachdem, wie man den Vogel später wiegen möchte, sollte es nur mit Manschetten oder mit Manschetten und Geschüh erfolgen. Ist das Gewicht notiert, wird der Vogel im Handtuch in einen völlig abgedunkelten Raum getragen und dort auf einer Reck angebunden. Sodann öffnet man das Handtuch, wobei man den Vogel um beide Flügel greift und ihn auf die Reckstange stellt. Reflexbedingt wird er zugreifen und, ob der völligen Dunkelheit, sehr wahrscheinlich auch stehen bleiben. Springt er doch ab und kommt von selbst nicht wieder hoch, was man nicht sehen, aber hören kann, warte man einige Momente und helfe ihm dann mit der flachen Hand wieder hoch. Bleibt er stehen, entferne man sich leise und verlasse den Raum. Bevor man es vergißt, wird das aktuelle Gewicht des Handtuchs zurückgewogen, wodurch sich das erste Referenzgewicht des Neuankömmlings errechnet.
An dieser Stelle ist uns wichtig zu betonen, daß nach unserer Auffassung zum Aufschirren eines jeden Greifvogels - gleich welcher Art - heute nur noch Alymeri-Geschüh Verwendung finden sollten. Der Gebrauch von klassischen Geschühriemen ist obsolet! Das gilt für jede Haltungsform, erst recht jedoch wenn ein Greifvogel frei geflogen wird. Hierbei ist das erhebliche Verletzungsrisiko durch die meist aufgebogenen Drahlenschlitze inakzeptabel. Auch das häufig praktizierte Verschließen der Drahlenschlitze durch Klebeband ist abzulehnen. Verstößt sich der Vogel, und kann er nicht mehr eingeholt werden, können sich die Klebestreifen irgendwann lösen und sich der Vogel daran aufhängen - eine nicht zu akzeptierende Eventualität. Bei der Verwendung von schlitzlosen Flugriemen kann dies nicht passieren. Ein weiterer Vorteil des Alymeri-Geschühs ist zudem, daß die freie Drehbarkeit der Aylmeri-Geschühriemen in den Ösen das Aufdrehen des Geschühs auf der Faust und bei der Anbindehaltung verhindert. Dies mindert das Risiko haltungsbedingter Gefiederschäden erheblich. Aus diesen und weiteren Gründen ist in den USA die Verwendung von Aylmeri-Geschüh gesetzlich vorgeschrieben. Auch in Europa wäre eine solche Vorschrift zu begrüßen.
Zur Reck, auf der wir den Vogel in den ersten Tage stellen, sei gesagt, daß es sich hierbei um eine klassische, gerade Reck handelt; es könnte jedoch auch eine Bogenreck sein. Den Gebrauch der sogenannten "Waller"-Rundreck lehnen wir für Kurzschwingen-Greifvögel aus hygienischen Gründen ab. Für Falken ist sie eine Alternative, nicht jedoch für Habichte oder Harris Hawks, da diese mit steter Regelmäßigkeit, nach außen stehend, den rückwärtigen Reckbogen beschmelzen und nach einem Umstellen im eigenen Kot stehen. Die Reck sollte im Raum entlang einer Wand aufgestellt sein. Wichtig ist die Höhe der Reckstange, die mit 150 cm etwa 30 cm höher ist, als in den meisten Lehrbüchern (120 cm) angegeben. Ein untrainierter Vogel erträgt die Annäherung des Falkners leichter, wenn er in dessen Augenhöhe steht oder - noch besser - über den Falkner hinwegblicken kann. Dem gilt es bei der Konstruktion der Reck Rechnung zu tragen.
Für das Anbinden eines Beizvogels, zudem eines unabgetragenen, auf der Reck gelten die bekannten Vorsichtsmaßnahmen: Ein Vogel hat solange unter ständiger Beobachtung zu stehen, bis mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, daß er, einmal abgesprungen, sich von selbst wieder aufschwingt. Das Beobachten sollte so erfolgen, daß der Vogel es nicht bemerkt. Dies ist in einem völlig abgedunkelten Raum am einfachsten mit einem Babyfon möglich, mit dessen Hilfe sich der untrügerische Bellenklang eines abspringenden Vogels ins Wohn- oder Schlafzimmer übertragen läßt. Das Mikrofon seitlich an der Reckstange angebracht, macht auch leiseste Bellbewegungen in einem benachbarten Raum hörbar. Mit etwas Übung und Geschick kann man das Verhalten des Vogel allein über die Belllaute erkennen. Kratzen, sich schütteln, putzen, Ständer einziehen, umstellen oder abspringen, alle diese typischen Verhaltensmuster eines Greifvogels auf der Reck bedingen typische Klangmuster, die das Tun des Vogel unzweideutig erkennen lassen - vorausgesetzt der Vogel trägt an beiden Ständern je eine Bell, was wir grundsätzlich für jeden unabgetragenen Beizvogel empfehlen, ebenso im übrigen für jeden Vogel, der frei geflogen wird. Zu jeder Zeit das Verhalten seines Beizvogels einschätzen zu können, ist für die Beurteilung des Erfolges der einzelnen Übungseinheiten während des Abtragens von größter Wichtigkeit. Offensichtlich ist dies z.B. während des Beireitens, wenn die Spontanität des Beireitens, also die Zeitspanne zwischen Zeigen der Atzung und Abspringen zur Faust, gute Hinweise über die Vertrautheit und den Appell des Vogels gibt. Nicht ganz so offensichtlich, aber ebenso aussagekräftig ist die Zeit, die nach Ihrem Verlassen des dunklen Reckraums vergeht, bis der rohe Vogel sich schüttelt und vielleicht einen Fang einzieht. Dauert es nach dem ersten Mal noch eine Stunde oder mehr, bis sich der Vogel wieder entspannt, sind es bald nur noch 10 Minuten oder weniger. Entsprechend wird das Anforderungsprofil an den Vogel erstellt.
Nicht sehr effektiv, weil wenig differenzierend und aufwendiger im Aufbau, ist der Gebrauch einer Lichtschranke. Die Kontakte beidseits an der Reckstange angebracht, gibt die Anlage sofort Alarm, wenn der Vogelkörper den Kontakt nicht mehr unterbricht = abgesprungen ist. Videoüberwachung ist im dunklen Raum ebenfalls wenig effektiv und erfordert zudem die ständige Aufmerksamtkeit des Überwachers am Monitor. Wer für diese modernen Methoden nicht zugänglich ist, kann auch in regelmäßigen Abständen einen Blick in den Reckraum werfen. Wir indes vermeiden jeden unnötigen Kontakt in diesen ersten Stunden, und wenn wir beobachten, dann so, daß wir selbst vom Vogel nicht wahrgenommen werden.
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Fortsetzung |
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Datum der Veröffentlichung: 22. Dezember 2001 |
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