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| | | Im ersten Gespräch fragte mich ein Falkner aus Baden-Württemberg, was ich wohl dazu meinte, wenn er sich einen Luggerfalken aufstellte? Nun kann man eigentlich auf eine solche Frage überhaupt nicht antworten, wenn man sein Gegenüber weder kennt, noch sonst etwas von dessen Verhältnissen weiß! Und dennoch deutet die Frage in eine gewisse Richtung, zielt sie doch auf das aktuelle Grundproblem der Falknerei in Deutschland. Auf meine spontane Gegenfrage: „Was wollen sie denn mit dem Vogel beizen?", höre ich denn auch diesmal wieder: „Ja, wissen sie, wir haben hier eigentlich gar kein Wild mehr; nur noch ein paar Krähen." „Und für was dann der Luggerfalke?", frage ich nach: „Na, um ihn aufs Federspiel zu fliegen!"
Quo vadis Falknerei? Quo vadis Falknerei? Ob Luggerfalke oder Harris Hawk, ob Habicht oder Sakerfalke, die Namen sind beliebig austauschbar, und dennoch gilt für ihr Aufstellen als Beizvogel eines gleichermaßen; Jack Mavrogordato hat es in seinem vorzüglichen Buch „Ein Beizvogel fürs Gebüsch" trefflich formuliert: „Man stelle sich nur dann einen Beizvogel auf, wenn man ihn in gerechtem Gelände auf gerechtes Wild fliegen kann". Dieses zentrale Dogma falknerischen Handelns wird heute leider allzu oft außer Acht gelassen. Falknerei ist Jagd, nämlich Beizjagd, per definitionem die Jagd mit dem abgetragenen Greifvogel auf freilebendes Wild. Und dazu bedarf es einiger Voraussetzungen, wie z.B. den Falknerjagdschein, eine Jagderlaubnis, ausreichend Zeit zum Jagen ... und eben Wild, das man bejagen kann und möchte. Erst wenn alle diese Voraussetzungen gegeben sind, rechtfertigt sich die Frage: „Welcher Beizvogel soll es sein?" Es wird ja auch erst gekocht und dann gegessen - und nicht umgekehrt!
Noch deutlicher gesprochen: Wenn nur eine der vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt ist, beantwortet sich die Frage nach dem Beizvogel von selbst: „Es sollte keiner, gleich welcher Art, aufgestellt werden"! Warum? Ganz einfach: weil man dem Vogel in keinem Fall gerecht wird. Wem die Zeit fehlt, wird seinem Vogel nicht gerecht; wem das Wild fehlt ebenfalls nicht. Wer keinen Jagdschein hat, kann nicht jagen gehen (anderenfalls macht er sich strafbar), und gleichlautendes gilt für denjenigen, der keine Jagdmöglichkeiten hat.
Falknerei oder Greifvogelhaltung Es wird argumentiert, daß die Greifvogelhaltung in Menschenhand per se rechtlich nicht an eine mit ihr einhergehende Jagdausübung verknüpft ist. Das stimmt. Und daß man einen Greifvogel ja nicht unbedingt an Wild bringen müsse, um ihn art- und verhaltensgerecht zu halten. Das stimmt auch. Und auch könne man z.B. einen Falken viel ausdauernder auf das Federspiel oder den Drachen trainieren, als durch einen kurzen Anwarteflug. Alles richtig, und doch argumentiert so nur der Greifvogelhalter, nicht der Falkner. Der Falkner ist ein Beizjäger, der im gemeinsamen Jagen (Betonung auf Jagen) mit Vogel und Hund seine Erfüllung sucht und sie – der eine mehr, der andere weniger – auch findet. Es ist das Eingebundensein in natürlich Abläufe, das Erleben des Wechselspiels der Kräfte zwischen Jäger und Gejagtem, die den Falkner jeden Tag aufs Neue fasziniert und umtreibt. Und es ist die Jagdausübung, der erfolgreiche Beuteflug, der einen Beizvogel zu einem gelehrigen „Gesellen" (wie sich Renz Waller einst ausdrückte) und dann zu einem verläßlichen Partner des Menschen bei der Jagd werden läßt. Ohne Wild jedoch bleibt dieses Verlangen unbefriedigt, bei Mensch, Vogel und Hund gleichermaßen. Der Greifvogelhalter kennt dieses Erlebnis nicht. Würde er es kennen, würde er anders argumentieren und danach streben, seinen Vogel nicht aufs Federspiel oder in der freien Folge, sondern auf Wild zu fliegen.
"Richtig falknern" „Ich würde ja gerne richtig falknern," fällt mir mein Gesprächspartner ins Wort, „nur gibt es bei uns absolut kein geeignetes Wild. Was soll ich also tun? Nach ihren Worten müßte ich die Falknerei aufgeben". Natürlich nicht! Und doch offenbart der beiläufige Einwurf „Ich würde ja gerne richtig falknern" das große Dilemma der Falknerei der Gegenwart in Deutschland. Viele ambitionierte Jungfalkner – aber auch ebensoviele alte Hasen - finden bei den aktuellen Niederwildbesätzen schlicht keine Reviere mehr, in denen sich ein Beizvogel gerecht auf Wild fliegen läßt. Was sei diesen Falknern geraten? Eines sicher nicht: mit der Falknerei aufzuhören! Eines aber auch nicht: sich erst einmal einen Beizvogel aufzustellen, in der trügerischen Hoffnung, daß sich alles Weitere schon finden wird. Das ist gewiß der falsche Weg, denn: stimmen die Voraussetzungen nicht, wird der Beizvogel – und damit die eigene Falknerei - niemals das erhoffte Niveau erreichen. Und einen Falken nur aufs Federspiel zu fliegen, oder mit einem Habicht spazieren(fliegen)gehen, ist von „richtig falknern", wie mein Gegenüber ganz richtig erkannte, weit entfernt. Was also tun? Wer es kann, sollte vorübergehend Verzicht üben. Das klingt leicht dahergesagt, zumal aus dem Munde dessen, der die falknerisch besseren (fetten) Jahre noch erlebt hat. Es ist für alle Beteiligten aber tatsächlich das Beste (Ich weiß wovon ich rede. Ich selbst praktiziere diesen Entzug seit mittlerweile 4 Jahren). Wer ohne Wildvorkommen einen Jungvogel einfliegen möchte, wird schon bald merken, daß er seinen Vogel (und damit letztlich sich selbst) nur jeden Tag aufs Neue frustriert. Was aber sei dem Jungfalkner geraten, der wild entschlossen ist und von dem eine solche Selbstbeschränkung (oder Weisheit?) nicht erwartet werden kann?
Kein Wild - Was Tun? Gleichwohl es Gebiete gibt, die hierzulande noch nie mit sonderlich großem Wildvorkommen gesegnet waren, gibt es doch kaum einen Landstrich, der wirklich gänzlich ohne potentielles Beizwild ist. Früher, als man noch mit Sperbern Amseln, Stare und Sperlinge beizen durfte, galt diese Aussage uneingeschränkt. Heute muß man differenzieren. Viele machen es sich aber auch leicht oder ergeben sich zu schnell in ihr vermeintliches Schicksal. Wer keine Kaninchen mehr im Revier hat, der muß heute durchaus in Kauf nehmen, mal 50 Kilometer oder mehr in bessere Reviere zu fahren. Für Anwartefalkner ist das eine Selbstverständlichkeit an jedem Wochenende in der Beizsaison, für Krähenfalkner an jedem Beiztag! Mancher ist sich auch zu schade, auf Friedhöfen oder Industrieanlagen zu beizen. Nur gibt es hier eigentlich überall noch Kaninchen. Mit einem schlecht abgetragenen Wildfanghabicht hat man hier jedoch kaum eine Chance (und wohl auch wenig Freude). Dies ist ein weiterer wichtiger Grund, weshalb man vorher wissen muß, wo man auf welches Wild beizt, damit man bereits bei der Auswahl des Beizvogels (und später beim Abtragen) die richtigen Weichen stellen kann (umgekehrt wird das kaum gehen). Und außerdem: Auch Enten, Möwen, Elstern und Krähen sind sehr gut jagdbares Beizwild, wenn sie denn zur Jagd freigegeben sind (dies gilt für Falken und Habichte gleichermaßen). Jedoch sei bedacht, daß die Krähen- und Möwenbeize sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, und erstere insbesondere bei den z. Zt. hohen Benzinpreisen durchaus kostspielig ist (bei durchschnittlich 150-200 gefahrenen Kilometern pro Beiztag summiert sich da einiges am Monatsende).
Was bleibt sind die klassischen Beizwildarten Hase und Fasan. Beide erfreuen sich in den letzten Jahren wieder ansteigender Besatzzahlen, auf teilweise nicht mehr für möglich gehaltene Höhen. Fast ist man geneigt zu glauben, daß es in manchen Revieren bald mehr Hasen und Fasane als Kaninchen gibt. Das fleißige Mithelfen im Revier (z.B. bei der Raubwildbekämpfung) sowie die obligate Flasche Wein zu Weihnachten sollten helfen, hier einen Fuß in die Tür zu bekommen. Denn eines sollte man nicht glauben, daß es irgendwo noch einen einzigen Revierpächter gibt, der aus schlichter Begeisterung für das alte Kulturgut „Falknerei" nur darauf wartet, daß man bei ihm Hasen und Fasane beizt. Dazu ist meist mehrjährige Überzeugungsarbeit notwendig; und Bescheidenheit! Klein anfangen, z.B. am Ortsrand, am Rand von Industrieanlagen oder Schrebergärten, ist allemal besser, als nicht beizen zu können.
Eine gute Methode ist es, anfänglich in sehr vielen Revieren anzufragen und die „Last" auf viele Schultern zu verteilen. Hat man erst einmal die Erlaubnis z.B. Krähen in einem Revier auf der Durchfahrt beizen zu dürfen, ist der Weg zu den Kaninchen am Ortsrand nicht mehr fern. Überhaupt ist Kreativität gefragt. Nicht wenige Stadtväter suchen händeringend nach Taubenbekämpfern. Gleichwohl es überhaupt nichts bringt, z.B. mit einem Habicht oder Harris Hawk, Tauben vergrämen zu wollen, können sich einige Wochen des Versuchens dennoch bezahlt machen. Auf dem kurzen Dienstweg läßt sich dann vielleicht der zuerst widerspenstige Vorsteher des Friedhofamtes von der Notwendigkeit der Kaninchenbekämpfung in seinem Dienstbereich überzeugen. Ebenfalls lohnende Beizjagdgebiete sind Kasernen- und Hochschulgelände, große Sportanlagen und Flughäfen (auf denen die Jagd gewöhnlich ruht). Hier sind es zumeist nur Sicherheitsbedenken, die ausgeräumt werden müssen.
Wo ein Wille ist ... Was aber tun, wenn alle diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind und es tatsächlich kein geeignetes Beizwild gibt resp. sich keine Jagdmöglichkeit findet? Ist dies wirklich der Fall, dann sage ich klipp und klar: sich keinen Beizvogel aufstellen! Meist jedoch finden sich Wege, um diese Ultima ratio zu vermeiden. Ein Jungfalkner aus unserem Landesverband ist das beste Beispiel dafür. Er lebt in einer seit jeher kaninchenarmen Region, in der sich auch kaum anderes Niederwild findet. Ohne Auto und Führerschein war sein Aktionsradius anfangs zudem sehr eingeschränkt. Alles in allem also nicht eben ideale Voraussetzungen für das Einfliegen eines Rothabichts. Aber nach bestandener Jäger- und Falknerprüfung war die Versuchung einfach zu groß. Doch anders als viele gab sich dieser junge Mann nicht mit der bloßen Greifvogelhaltung zufrieden, er wollte jagen und wurde aktiv. Er ersuchte überall im näheren und weiteren Umkreis um Jagderlaubnis, fragte bei Falknern an, ob er nicht einmal am Wochenende mit bei ihnen ins Revier gehen dürfte und kam zu allen Gemeinschaftsbeizen des Landesverbandes mit seinem Vogel. So wurde das erste Jahr mit 6 Kaninchen und 2 Dreiläufern zwar keine Rekordsaison, aber der Vogel war eingejagt. Über den Sommer knüpfte er weiter so erfolgreich Kontakte, daß er heute, im zweiten Jahr, schon regelmäßig befreundete Falkner mit zur Jagd (auf Friedhöfe) hinausnehmen kann. Und was regelmäßiges Jagen für einen Vogel bedeutet, zeigt die Streckenliste der noch jungen Saison: Bereits nach nur 4 Wochen hat der Habicht 12 Kaninchen gefangen. Wo ein Wille ist, ist (zumeist) auch ein Weg.
Birdsharing In den seltenen Fällen, in denen sich trotz guten Willens nichts auftun läßt, sollte man – wie gesagt - auf das Aufstellen eines eigenen Beizvogels verzichten. Das heißt jedoch nicht, das man seine Falknerleidenschaft sprichwörtlich an den Nagel hängen muß. Auch hier ist wieder Kreativität gefragt: Stichwort „Birdsharing". Was damit gemeint ist? Ganz einfach: Viele von uns leiden nicht nur unter Wild-, sondern auch Zeitmangel. Ein für alle Beteiligten (Menschen und Vogel!) geradezu ideale Lösung kann da sein, daß man sich einen Vogel über die Beizsaison, bei genügendem Wildvorkommen auch abwechselnd unter der Woche, teilt (engl. bird=Vogel, sharing= teilen). Die Vorteile liegen auf der Hand: der Vogel wird häufiger geflogen und rasch zu einem sehr erfahrenen und erfolgreichen Jäger. Man selbst kann sich untereinander z.B. bei der Saisonplanung oder beim Jagdurlaub absprechen, so daß der Vogel quasi kontinuierlich geflogen werden kann. Mancher beizt lieber im Herbst, ein anderer bevorzugt den tiefen Schnee im Dezember und Januar. Geschickt geplant, kann ein Habicht z.B. auf Norderney oder ein Falke in Schottland sechs Wochen geflogen werden. Die ersten zwei Wochen von Falkner A, die zweiten zwei Wochen von Falkner B usw. Außer der hoffentlich nicht fehlenden Befriedigung, daß das Erreichte nicht ausschließlich dem eigenem Können erwachsen ist, bleibt die Freude auf und an der Jagd die gleiche.
Falknerei ist Jagd Wir leben in einer Zeit, in der es viele legale Greifvögel für viele Falkner zu kaufen gibt. Gleichzeitig werden die Reviere kleiner und die Wildverhältnisse schwieriger. Diese gegenläufige Entwicklung ist problematisch für jeden einzelnen Falkner und birgt Gefahren für die Falknerei in ihrer Gesamtheit. So sehr es auch erfreulich ist, daß die Falknerei seit einigen Jahren einen großen Interessenzulauf erlebt, die Qualität der praktischen Falknerei sollte darunter nicht leiden. Greifvogelhaltung des reinen Haltens wegen oder Schönfliegerei auf das Federspiel mag für den Einzelnen belustigend sein, für die Falknergemeinschaft insgesamt bedeutet es einen gefährlichen Rückschritt in längst überkommen geglaubte Zeiten. Die deutsche Falknerei ist seit jeher eng in das Jagdwesen eingebunden, und nur hier hat sie eine Zukunft. Jeder Falkner sollte sich daher als Beizjäger verstehen und sich einen Greifvogel nur dann aufstellen, wenn er die o.g. Voraussetzungen für die Beizjagdausübung geschaffen hat. | | Datum der Veröffentlichung: 15. Januar 2001 | | | |
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