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Die Wanderfalken-Auswilderung |
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Als in den 1950er bis 70er-Jahren die Bestände des Wanderfalken in Deutschland und gleichzeitig auf der ganzen Nordhalbkugel zusammenbrachen, schien das Schicksal dieses Greifvogels besiegelt. Diese bedrohliche Situation, die Befürchtungen real erscheinen ließen, daß die Art vollkommen aussterben würde, führte im Natur- und Artenschutz zu sehr unterschiedlichen Schutzstrategien. Nachdem der Wanderfalke (nach KONRAD LORENZ: der Vogel der Vögel bzw. HORST STERN: das Steckenpferd des Naturschutzes) als Symbolfigur für die Gefährdung unserer Umwelt einen hohen Stellenwert erlangt hatte, gründete sich im Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV) die Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz (AGW); diese Organisation versuchte die Erhaltung des Falken durch Schutz der letzten Brutpaare zu erreichen. Durch Bewachung der Wanderfalkenhorste und andere Managementmethoden hoffte man, ein endgültiges Verschwinden der Art aufhalten zu können. Es bestand die Auffassung, daß der Rückgang der Bestände in erster Linie durch illegale Aushorstungen der Falkner verursacht worden sei. Die wahren Ursachen blieben zunächst verborgen. Erst als die verheerende Wirkung bestimmter Insektizide (wie z.B. DDT) auf die Fortpflanzung verschiedener Vogelarten - so auch des Wanderfalken - aufgedeckt wurde und zum Verbot der Anwendung dieser Umweltgifte in Land- und Forstwirtschaft führte, konnten die Schutzmaßnahmen der AGW erfolgreich sein.
Einen vollkommen anderen Weg haben Falkner des Deutschen Falkenordens beschritten. Der Wanderfalke war neben dem Habicht der wichtigste Beizvogel, und die Beizjagd mit dem Wanderfalken schien sich dem Aus zu nähern. So wurde der Gedanke geboren, diese Art in Menschenhand zu vermehren. Nicht nur der Erzeugung von Beizfalken sollte dieses Vorgehen dienen, schon frühzeitig wurde darüber nachgedacht, ob es nicht möglich wäre, bei erfolgreicher Zucht die Art durch Auswilderung wieder in der Natur zu etablieren.
Eigentlich hätten sich die beiden Vorgehensweisen in idealer Weise ergänzen können. Leider aber kam es nicht zu einer Kooperation, sondern im Gegenteil zu außerordentlich heftigen Konfrontationen. Von Seiten des DBV/AGW wurde die Zucht des Wanderfalken für unmöglich gehalten, und weil man ja in den Falknern die Schuldigen fŸr den Zusammenbruch der Wanderfalkenbestände ausgemacht hatte, war es folgerichtig nicht möglich, Falkner in die Reihen der "wahren Wanderfalkenschützer" aufzunehmen. Die auch heute noch anhaltenden Auseinandersetzungen haben ein außerordentlich gespanntes Verhältnis zwischen den verschiedenen Gruppen von Wanderfalkenschützern in Deutschland geschaffen.
Im Jahre 1974 wurden in Berlin die ersten sechs jungen Wanderfalken in Gefangenschaft gezüchtet. Das Unmögliche war gelungen! 1977 waren es schon 22 Jungfalken, die in unseren Volieren gezeugt wurden. Diese Anzahl reichte aus, um die ersten experimentellen Auswilderungen durchzuführen. Diese verliefen erfolgreich. Das Wanderfalkenzuchtprojekt wurde zum Forschungsprojekt an der Freien UniversitŠt Berlin (FU). Im folgenden Jahr wurde auf Initiative der Staatlichen Vogelschutzwarte Frankfurt und der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Falkenorden (DFO) und der Freien UniversitŠt Berlin (FU) das erste Wanderfalken-Auswilderungsprojekt in Nordhessen ins Leben gerufen.
Das Projekt entwickelte sich so erfolgreich, daß es nach 15 Jahren - wie vorgesehen - abgeschlossen werden konnte. Inzwischen waren auch andere Auswilderungsprojekte ins Leben gerufen worden. Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Franken waren Zentren dieser AktivitŠten. Über die Maßnahmen, die Erfolge, aber auch die FehlschlŠge dieser Programme ist regelmäßig in Publikationen (insbesondere im Jahrbuch des Deutschen Falkenorden) berichtet worden. Die Auswilderungen haben zur Wiederbesiedlung weiter Gebiete durch Wanderfalken geführt (NRW, Wattenmeer, Harz, Franken, Berlin). Auch siedelten sich ausgewilderte Wanderfalken in der ehemaligen DDR an.
Derzeit stammen mindestens 100 Brutpaare von den einstmals ausgewilderten Vögeln ab. Insgesamt haben Falkner des DFO bis heute (Stand 2005) 2500 Wanderfalken nachgezogen. Davon sind über 1000 über die verschiedenen Projekte ausgewildert worden. Im Jahr 1987 mußte das Wanderfalkenforschungs- und -zuchtprojekt nach Hamburg verlegt werden. Seit dieser Zeit wird es vom Brehm-Fonds unterstützt.
Nach der Wiedervereinigung unseres Landes konnten endlich offizielle Kontakte zu den Wanderfalkenschützern der ehemaligen DDR, der Arbeitskreis Wanderfalkenschutz (AWS) war dort inzwischen ins Leben gerufen worden, aufgenommen werden. Es wurde eine intensive Zusammenarbeit vereinbart. Als eines der ersten und aussichtsreichsten Programme wurde die Auswilderung von Wanderfalken im Nationalpark Sächsische Schweiz geplant und durchgeführt. Im Verlauf von nur sechs Jahren konnte auch dieses Vorhaben erfolgreich abgeschlossen werden. Es existiert dort heute eine sich selbst reproduzierende Wanderfalkenpopulation mit 17 Brutpaaren, die auch in die benachbarte Böhmische Schweiz ausstrahlt.
Der Bestand des an Felsen und GebŠuden brütenden Wanderfalken kann inzwischen als gesichert gelten. Sowohl die aus dem Restbestand SŸddeutschlands als auch die aus Auswilderungen in Norddeutschland hervorgegangenen Wanderfalkenpopulationen haben einen zahlenmäßigen Stand erreicht, der es überflüssig macht, weitere Auswilderungen im Bereich der felsbrütenden Wanderfalken durchzuführen.
Und so bleibt unserem Projekt nur noch eine, allerdings umfangreiche Aufgabe zu bewältigen. Die Wiederherstellung der baumbrütenden Wanderfalkenpopulation. Dazu muß folgendes erklärt werden: der Wanderfalke ist primär ein Felsbrüter. Es gibt nur einige wenige Ausnahmen. In der Norddeutschen Tiefebene und den angrenzenden Gebieten in Osteuropa gab es Wanderfalken, die auf Bäumen brüteten. Es handelt sich um eines der größten zusammenhängenden flächendeckenden und erfolgreichsten Wanderfalkenvorkommen überhaupt. Das Zentrum dieser Population, die vollkommen ausgestorben war, befand sich in Brandenburg und Mecklenburg. Schon 1980 hatten wir in Berlin mit Vorversuchen begonnen, Wanderfalken das Brüten auf Baumhorsten wieder "beizubringen". Dazu ist eine Prägung auf das Waldbiotop und die Baumhorstsituation Voraussetzung. Da die Baumhorstauswilderung wesentlich andere Voraussetzungen mit sich bringt, mußte ein vollkommen neues Vorgehen erarbeitet werden. Die dazu notwendigen Vorversuche verliefen erfolgreich. Anschließend wurden einige Auswilderungen in Waldgebieten in Berlin und Schleswig-Holstein durchgeführt. Jedoch erst mit der politischen Wende konnte in Zusammenarbeit mit dem AWS ein Intensiv-Programm zur Wiederbelebung der baumbrütenden Wanderfalkenpopulation in Angriff genommen werden. An je einem Platz in Brandenburg (in Zusammenarbeit mit der Naturschutzstation Woblitz), Mecklenburg (in Zusammenarbeit mit dem Landesjagdverband Mecklenburg-Vorpommern) und Sachsen-Anhalt wurden Auswilderungsplattformen auf hohen Kiefern angebracht. Zahlreiche Jungfalken flogen aus diesen Kunsthorsten aus. Obwohl es zu Abwanderungen von Falken auf hohe Gebäude (Kunstfelsen) kam, was abzusehen war, haben sich inzwischen sechs Brutpaare auf Bäumen angesiedelt (vier in Brandenburg, zwei in Mecklenburg), die alle erfolgreich Jungfalken zum Ausfliegen brachten. Weitere Ansiedlungen in den ausgedehnten Waldgebieten stehen offenbar unmittelbar bevor. Somit scheint gesichert, daß auch dieses Projekt erfolgreich verlaufen wird.
Nach unserer Prognose ist davon auszugehen, daß wir unser Ziel, eine sich selbst erhaltende baumbrütende Wanderfalkenpopulation zu etablieren, innerhalb von 15 Jahren erreichen können. Dazu müßten jährlich 40-50 junge Wanderfalken ausgewildert werden. Diese Zahl können wir Falkner vom Deutschen Falkenorden wie bisher züchten, zur Auswilderung vorbereiten und zur Verfügung stellen. Wir sind fest davon überzeugt, daß in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Organisationen, den staatlichen Stellen und mit weiterer Unterstützung durch die Sponsoren das gesteckte Ziel erreicht wird. Mit einer gewissen Genugtuung können wir konstatieren, daß es sich bei unserem Auswilderungsprojekt um eines der erfolgreichsten seiner Art handelt.
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Autor: Prof. Dr. Christian Saar |
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Datum der Veröffentlichung: 9. März 2004 |
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Letztes Update - 23.05.2018 |
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